Redebeitrag zum queerfeministischen Streik

Denise ist ehemalige Gewerkschaftssekretärin, und ich, Charlotte, bin Verwaltungsmitarbeiterin. Wir sind hier als Mitglieder der Gewerkschaft FAU Biel/Bienne. Als solche wurden wir eingeladen, über das Thema „Arbeit“ zu sprechen. 

Seit 2023 hören wir viel über künstliche Intelligenz als geniales, bedrohliches, energieintensives Arbeitswerkzeug, das Millionen von Daten verschlingt, negative Voreingenommenheit gegenüber Frauen und anderen Gruppen übernimmt und verstärkt. Die undurchsichtigen Algorithmen werden meist von Männern entworfen, die diese Voreingenommenheit nicht korrigieren.

Wissenschaftler sind nicht in der Lage zu sagen, wie die Arbeitswelt in zehn Jahren aussehen wird. Alle sind sich jedoch einig, dass wir uns hier und heute an einem Wendepunkt befinden. In welche Richtung werden wir uns bewegen? Wie wird die Wirtschaft den durch diese Revolution geschaffenen Wert in der Arbeitswelt verteilen, wenn wir uns nicht einmischen? Es liegt an uns, unsere Bedürfnisse und Ansprüche in diesem Bereich zu definieren.

Wir wollen die Technologie nicht verteufeln, sie ist ein Werkzeug. Es gibt Aufgaben, die schneller oder einfacher zu erledigen sind, andere werden regelrecht ersetzt. Es entstehen neue Berufe…  Jede/r kennt ihren/seinen Beruf am besten und nimmt die Veränderungen wahr. Es liegt an uns, festzulegen, wie wir diese Werkzeuge nutzen wollen, damit sie uns nützen. Wie können wir dafür sorgen, dass der mit diesen Werkzeugen erzeugte Reichtum gerecht verteilt wird? Indem wir überall einen Ausgleich des Kräfteverhältnises schaffen, beginnend am Arbeitsplatz. Nehmen wir uns ein Beispiel an den Drehbuchautoren in Hollywood, die fünf Monate lang gestreikt und gewonnen haben: In Zukunft müssen Drehbücher von Menschen geschrieben werden; sie haben KI nicht verboten, sondern sie als Hilfe für die Kreativität eingerahmt. Ihr Kampf ist ein nachahmenswertes Modell.

Während wir die Auswirkungen der technologischen Entwicklungen im Auge behalten, müssen wir weiterhin gegen Patriarchat, Männerbünde,  Diskriminierung, Belästigung und andere Formen des Missbrauchs kämpfen, die nach wie vor am Arbeitsplatz stattfinden… Wir müssen für eine Gesellschaft kämpfen, die ein gutes Leben ermöglicht, unabhängig von den Lebensentscheidungen jeder und jedes Einzelnen. Wie können wir all dem begegnen? Es gibt keine zehn Lösungen. Es gibt 1. Es ist immer die gleiche, die unsere Mütter und Großmütter genutzt haben, um ihre Rechte voranzutreiben: sich zu vereinen, um all dem gemeinsam entgegenzutreten. Wie der MLF sang: 

Allein in unserem Unglück, Frauen,

Eine von der anderen ignoriert,

Sie haben uns geteilt, Frauen,

Und von unseren Schwestern getrennt

Verlasst Euch sich nicht auf die Gerichte, um sich zu verteidigen… Das Arbeitsrecht in der Schweiz ist nicht arbeitnehmerfreundlich, es hinkt dem technologischen Fortschritt immer hinterher und es ist Arbeitgeber freundlich.

Wenn man genau hinschaut, sind alle Fortschritte zugunsten der Frauen, zugunsten der Arbeitnehmer/innen und der Minderheiten auf Druck der Strasse zustande gekommen. Es ist ein Mythos, dass es in der Schweiz nie einen Streik oder eine Volksmobilisierung gegeben hat. Der Generalstreik von 1918 ermöglichte die Verkürzung der Arbeitszeit von 59 auf 48 Stunden. Es war der lange Kampf der Frauen, der das Wahlrecht erkämpfte. Der erste Frauenstreik trug dazu bei, dass 1996 das Gleichstellungsgesetz verabschiedet und 2002 die Abtreibung legalisiert wurde.

Rechte sind nie selbstverständlich, und vor allem jetzt sehen wir, wie viele Fortschritte in Frage gestellt werden. Wenn wir glauben, eine Schlacht wie die um die 13. AHV-Rente gewonnen zu haben, müssen wir immer noch kämpfen und schreien, damit sie am Ende der Parlamentsdebatten nicht zu einer fast leeren Hülle wird. Unsere Mobilisierung am 14. Juni ist notwendig, setzen wir den Kampf unserer Schwestern von 1996 fort, denn 10 Jahre nach dem Gleichstellungsgesetz war die Gleichstellung noch lange nicht erreicht, schon gar nicht in der Arbeitswelt!

Also, Freundinnen: A la huelga diez, a la huelga cien. A la huelga, madre, yo voy también. A la huelga cien, a la huelga mil. Yo por ellos, madre, y ellos por mí. Treten wir alle in den Streik! 

Ein ausgleichendes Kräfteverhältnis auch an unserem Arbeitsplatz zu schaffen, das müssen wir Frauen und Queers lernen… Lasst uns den Kolleginnen und Kollegen vertrauen, lasst uns nicht von Chefs und Neidern spalten lassen, lasst es uns wagen, über unsere Probleme, unsere Stalker, unsere Löhne zu sprechen, damit die Kolleginnen und Kollegen dies auch tun können. Lasst uns Zeit füreinander nehmen und lasst uns uns gegenseitig schützen. Aber wie?

Es gibt die Gewerkschaften. Die Organisationen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die rechtlich und faktisch anerkannt sind. Das ist eine Kraft, die da ist. Ein Arbeitgeber reagiert auf die individuelle Anfrage einer Arbeitnehmerin anders, als auf das Schreiben einer Gewerkschaft. Denn wenn Du in einer Gewerkschaft bist, weiss er, dass Du nicht allein bist und dass das Gegenüber ernst genommen werden muss!

Es gibt mehrere Gewerkschaften, es liegt an Dir, diejenige zu wählen, die Dir zusagt und die mit Dir zusammen deine Interessen am besten vertritt. Die deine Forderungen hört und unterstützt. Aber dazu müssen wir uns gewerkschaftlich organisieren. 

Ich selbst bin Mitglied der FAU. Das ist eine Basisgewerkschaft ohne Funktionäre und Hierarchien. Die Mitglieder delegieren die Aktionen nicht an Beamte, sondern entscheiden und handeln selbst. Im Kampf erreichen wir unsere Rechte und ihre Umsetzung. Zu Lernen, für die eigenen Rechte und die Rechte der Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz zu kämpfen, ist für alle Lebensbereiche nützlich: zu Hause, auf der Strasse, in Vereinen, in der Politik. Es ist immer eine bereichernde Erfahrung, gegen die Angst zu kämpfen, die von den Arbeitgebern, dem Staat, den Männerbünden und unserem Umfeld verbreitet wird. Und wenn die Angst besiegt ist, ist ein wichtiger Teil des Kampfes bereits gewonnen.

Die FAU ist noch klein, aber sie wächst. Sie wächst mit jedem Arbeitskampf, den wir führen, und mit jedem Mitglied, das es wagt, seiner Angst zu trotzen, aus der Lähmung, in der uns das kapitalistische System hält, auszubrechen und für die Verteidigung unserer Rechte und der Rechte unserer Kolleginnen und Kollegen zu kämpfen.

Alle, alle, die heute hier sind: Organisiert Euch! Organisiert Euch in Gewerkschaften! Lasst uns gemeinsam aufbegehren, um den Arbeitgebern, die uns ausnutzen, diskriminieren, belästigen oder ignorieren, diese Verhalten auszutreiben… Es gibt heute so viel zu verteidigen, morgen vielleicht noch mehr. Gemeinsam können wir gewinnen! Gemeinsam organisieren wir uns, gemeinsam revoltieren wir!