Am Aareufer zwischen Aegerten und Port, nur wenige Velominuten von Biel und Nidau entfernt, entsteht eine neue Solidarische Landwirtschaft (Solawi). Tex ist Mitinitiant und arbeitet für die Solawi-Kooperationsstelle. Kannst du das Projekt «Spärs divers – potager partagé» kurz vorstellen?
Tex: Auf zwei Hektaren Acker im Spärs, wird es Gemüse- und Kräuter geben, zukünftig auch Obst, Getreide und viel mehr, dies kollektiv und selbstverwaltet. Produzierende und Konsumierende kooperieren eng miteinander, um gemeinsam alles dafür zu tun, eine gute und vielfältige Versorgung zu gewährleisten. Nichts wird verkauft. Stattdessen teilen wir uns die Ernte, die Arbeit und die Kosten. Wir rechnen mit drei Tagen pro Person und Jahr, bei einem solidarischen Betriebsbeitrag, abhängig von den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Mitglieder. Wir werden den Acker biodivers und unser Kollektiv divers gestalten. Und Spass wird es machen!
Du bist auch FAU-Mitglied, bringst viel Erfahrung aus der Selbstverwaltung mit und hast dich seit 15 Jahren der Solawi-Bewegung verschrieben, was ist deine Motivation?
Tex: Mich motiviert die konkrete Umsetzung von anarchosyndikalistischen Perspektiven. Kapitalismus ist planloses «laisser faire» einer «unsichtbaren Hand» und grenzenlose Profitmaximierung in freier Konkurrenz unter Androhung des Verlusts der eigenen Existenz – ineffizienter geht es gar nicht: renne um dein Leben und veranstalte dabei eine endlose Materialschlacht (=Umsatz). Ist das «Wohlstand»? Stattdessen Produktionsmittel aneignen und gemeinsam selber verwalten, bzw. vernünftig den kollektiven Bedarf planen und die Ressourcen damit in Einklang bringen – nicht durch eine zentrale Stelle sondern direktdemokratisch. Diesen Systemchange sehe ich in der Solawi.
Wie stellst du dir den sozialen Organismus auf dem Spärs vor?
Tex: In Solawis entscheiden und arbeiten die Konsumierenden mit (Mitgliederversammlung, MV). Operativ sind die Fachkräfte (FK) tätig, sowie eine von der MV gewählte Betriebsgruppe (BG) für Administration und Organisation. Zu tun gibt es «Facharbeit», «einfache Facharbeit» und «einfache Arbeit», Total 1800 Tage im Jahr. Für «einfache Arbeit» tragen sich Mitglieder online ein. «Einfache Facharbeit» erledigen interessierte und committete Mitglieder. FK und BG leisten etwa 1200 Tage, also bleiben 600 für die ca. 200 «einfachen Mitglieder», d.h. 3 Tage Arbeit pro Person und Jahr. Et Voilà, 220 Menschen sind wirklich ökologisch und sozial mit Gemüse versorgt. Juristisch in Form einer Genossenschaft.Und zusammengefasst unter dem Dach einer Genossenschaft, der klassischen Selbsthilfeorganisation.
«… hier in unseren Herzen tragen, wir eine neue Welt. Jetzt in diesem Augenblick, wächst diese Welt.» Das Zitat von Buenaventura Durruti, 1936 finde ich sehr passend dazu. Denn es gilt konkrete Alternativen und Netzwerke der gegenseitigen Hilfe aufzubauen. Was hast du sonst noch für Ideen?
Tex: Nach entsprechendem Muster könnten andere Sektoren auch funktionieren, z.B. Textilproduktionen. Die «Wertschöpfungskette» ist länger, aber bestimmt machbar. Auch schön an dem Konzept ist, dass es nicht wachsen muss: wenn der Bedarf gedeckt ist, kann evtl. noch ein Pölsterchen aufgebaut, dann aber der Input (Material und Arbeit) bald gedrosselt werden. «Weniger Arbeit» ist dann keine Drohung mehr sondern… der neue Wohlstand! Wobei je nachdem wie wir «Arbeit» definieren, geht sie uns niemals aus. Die meiste ist ja unbezahlt: weltweit wird nur 10% der ökonomisch relevanten Arbeit entlöhnt. Und es ist zweifelhaft, ob alle bezahlte Arbeit ökonomisch wirklich relevant ist. Lohnarbeit ist also global ein Randphänomen und zudem Grossteils unnütz. Deshalb ist meine Lieblingsidee: abschaffen.
Möchtest du noch etwas mit uns teilen?
Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, dass Solawi ein Gemüseabo sei. Das ist es nicht. «Abos» sind Verkäufe, Dienstleistungen, mit Preisen drauf, Nachfrage und Angebot. Bei den Solawis tritt anstelle der «Nachfrage» der Bedarf, anstelle des «Angebots» treten die Erzeugnisse, und anstelle des Preises tritt der Betriebsbeitrag. Jedenfalls solange es noch Geld gibt. Einer der interessanten Aspekte an diesem Konzept ist: es funktioniert auch in einer Welt ohne Geld. Denn das Geld koordiniert im Prinzip nicht wesentlich in einer Solawi, sondern die Menschen koordinieren sich und ihren Betrieb selber, mit ihrer kollektiven Kommunikation und Entscheidungsfindung.
Und noch was: befreite Äcker benötigen befreite Fachkräfte! Seit wenigen Jahren existiert F.A.M.E., Formation Autogérée de Maraîchage Écologique. Die Gemüsebau-Lernenden umgehen die Gehirnwäsche der pharmadefinierten «anerkannten» landwirtschaftlichen Ausbildungen und stattdessen organisieren und verwalten sie sich ihre Ausbildung von A bis Z selber, um sich das wirklich sinnvolle Knowhow anzueignen. Sie lernen also nicht «nur» Gemüsebau, sondern auch Systemchange! Dazu benötigen sie von Jahr zu Jahr Schulhäuser, Referent:innen, Praxisbetriebe, Lehrmittel, … also – in der heutigen Welt – Geld. Wer kann und will, darf sie unterstützen, mit jeder noch so kleinen Mitgliedschaft (oder Einzelspende) bei Pro F.A.M.E..
Disclaimer: Spaers divers – potager partagé oder auch generell Solawi sind keine explizit anarchosyndikalistischen Projekte. Aber wie gesagt: aus meiner Sicht finden sich in ihnen weitgehend und grundlegend anarchosyndikalistische Prinzipien: Kollektivierung und gemeinsame Selbstverwaltung der Produktion(smittel) sowie Umsetzung einer Alternative in direkter Aktion.
Willst du mitmachen und den Aufbau der Solawi schon beim Aufbau unterstützen, dann melde dich bei:
Buchtipp/Podcast:
Buch (Solawi kommt vor, ist nicht das Hauptthema, aber es geht um ein Hauptthema von Solawi: Transformation): https://www.ulrike-helmer-verlag.de/buchbeschreibungen/friederike-habermann-ausgetauscht/
Podcasts zu Vergesellschaftung in der Landwirtschaft (zwei von vielen interessanten):
https://podcast.dissenspodcast.de/267-commons
https://kein-ding.podigee.io/8-neue-episode
