Kapitalismus unterpflügen – Solidarität säen

Im 2022 gegründet, hat sich die Initiative Grüne Gewerke als Branchennetzwerk der FAU auf bundesweiter Ebene in Deutschland bekannt gemacht. Ein Interview mit Wolf Meyer von der IGG, Obst- und Gemüsegärtner in Ostsachsen. 

FAU: Erzähl uns doch, wie ihr euch gerade entwickelt? 

Wolf: Wir haben vor drei Jahren mit unserer Initiative gestartet. Mittlerweile sind wir bundesweit bekannt unter Arbeiter:innen und Verbänden im Bereich der biologischen und solidarischen Landwirtschaft (SoLaWi). Unsere Mitgliederzahl konnten wir seit der Startinitiative vervierfachen und nehmen immer noch kräftig Fahrt auf. Vor allem reichen unsere Netzwerke weit über unsere Mitgliederbasis hinaus in die Betriebe. Auch wenn alles natürlich nicht ohne Probleme läuft, so haben wir Website, Schulungen, Medienkanäle, ein Strategiepapier für die nächsten Jahre und jetzt auch ein Programm für unsere Ziele im Betrieb erarbeitet. Gerade das Feld SoLaWis beschäftigt uns: wir hatten auch unseren ersten Arbeitskampf dort. Viele von uns arbeiten in SoLaWi-Betrieben, weshalb wir eine eigene Gewerkschaftsstrategie für das Netzwerk entwerfen. 

Jetzt gilt es vor allem, die vielen neuen Gewerkschaftsmitglieder auszubilden und in ihnen die Selbstsicherheit zu schaffen, um Öffentlichkeitsarbeit, Arbeitskämpfe und betriebliche Organisierung selbst in die Hand zu nehmen. Außerdem sehen wir uns eben immer noch als eine Initiative. Das heißt, wir wollen noch an Größe, formellen Strukturen und Knowhow zulegen, ehe wir uns guten Gewissens als vollwertige Gewerkschaft benennen. Wir sind hier aber auf einem guten Weg. Die wichtigen Stationen unseres bisherigen Strategiepapiers haben wir wesentlich schneller erreicht als geplant und wir haben bereits schätzungsweise 10% der Mitgliederbasis der Zentralgewerkschaft in unserem Bereich. Spätestens, wenn wir die 50% erreicht haben, werden wir uns wohl auch offiziell als Gewerkschaft benennen. Da wir eine Basisgewerkschaft sind, ist aber schon jetzt unsere Aktivenbasis deutlich höher als bei der DGB-Gewerkschaft IG BAU, die sich in Deutschland auch um die meisten grünen Gewerke kümmert. 

Ihr habt im August 2025 euer betriebspolitisches Programm veröffentlicht. Kannst du uns die wichtigsten Punkte vorstellen?

Klar, um unsere betrieblichen Ziele besser zu verstehen, ist es dabei gut zu wissen, dass wir uns bisher primär aus Arbeiter:innen in der Landwirtschaft zusammensetzen und oft unter extrem prekären Bedingungen arbeiten. Wir wollen Mindeststandards für die gesamte Branche etablieren und schauen dabei erstmal auf die schlimmsten Felder des Organisationsbereiches. Ein halbwegs erträgliches Leben, aber auch die Möglichkeit, sich zu organisieren sind dabei von drei miteinander verwobenen Punkten bedroht: Wenig Geld, wenig Zeit, wenig Schutz unserer körperlichen und psychischen Gesundheit. Deswegen haben unsere Forderungen einen Fokus auf Löhne und Ausbildungsvergütung, Recht auf Teilzeit, Kampf gegen extreme Ausbeutungsformen, beispielsweise von migrantischen Kolleg:innen, aber auch von Auszubildenden, Freiwilligendienstleistenden und Praktikant:innen, sowie der Kampf gegen Diskriminierung und Arbeitsschutzversäumnisse. Andere Forderungen betreffen einen Wandel unserer Branchen weg von der Profitlogik hin zu einem Nutzen für Gesellschaft und Umwelt. Schließlich haben wir strategische Forderungen, um die Ausgangssituationen für Gewerkschaften zu verbessern. 

Das Ernährungssystem ist von einer unheimlichen Monopolisierung geprägt, viele Anbieter:innen, sprich Landwirt:innen, treffen auf wenige Abnehmer. Der Preisdruck ist enorm, was sich auch auf die Arbeitsbedingungen der Landarbeiter:innen auswirkt. Von welchen Realitäten sprechen wir?

Du hast völlig recht. Obwohl wir in Deutschland einen gesetzlich festgelegten Mindestlohn haben (auch wenn dieser mit der Inflation als Reallohn immer niedriger wird), wird dieser vielfach mit verschiedenen Methoden unterlaufen. Teilweise arbeiten Kolleg:innen faktisch für 6€ und weniger pro Stunde – einfach aus Liebe am Beruf oder im Falle vieler migrantischer Kolleg:innen aus purer Verzweiflung. Auch Arbeitswochen mit 60h Arbeit sind leider keine Seltenheit. Dazu kommt das hohe Risiko teils auch tödlicher Unfälle durch Schlafmangel, Umgang mit Tieren und gefährlichen Maschinen. In der konventionellen Landwirtschaft kommen noch die enormen Risiken durch chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel hinzu. Als wäre das nicht schlimm genug, sind gerade migrantische Kolleg:innen auch immer wieder mit Rassismus, Gewalt, teilweise mafiösen Schlägertrupps konfrontiert. Die Monopolisierung ist dabei eine wichtige Triebfeder, die Ausbeutung weiter zu verschärfen und gehört auch von der Gewerkschaftsbewegung strategisch angegriffen. Sie entschuldigt aber nicht alles, und muss auch von unseren Chef:innen mittels der Bäuer:innenverbände angegangen werden und schlimme Ausbeutung findet sich durchaus auch bei Direktvermarkter:innen, die also nicht an den Einzelhandel oder die Großabnehmer liefern. 

Sind die Bäuer:innen Verbündete im Klassenkampf wie Bernard Lambert in seinem Buch «Bauern im Klassenkampf» schreibt: «In seiner Funktion als Produzent verliert der Landwirt immer mehr die Kontrolle über seine Produktion und sogar über seine Produktionsmittel: mit anderen Worten, er proletarisiert sich.»

Diese Frage ist eine der schwierigsten in unserem Aktionsfeld. Einerseits können viele Bäuer:innen nicht (mehr) wie einfache Unternehmer:innen in anderen Wirtschaftsfeldern begriffen werden, dafür haben sie oft wirklich zu wenig tatsächliche Gestaltungsmacht. Gleichzeitig bleibt es in einem nicht-kollektiven Arbeitsverhältnis halt dabei, dass die Bäuer:innen letztlich die wirtschaftlichen Entscheidungen treffen, Betriebe auch dann aufrecht zu erhalten, selbst wenn damit keine hinnehmbaren Arbeitsverhältnisse mehr geschaffen werden können. Bei den Bäuer:innenprotesten 2023/24 lernten wir dabei als Gewerkschafter:innen ein paar wichtige Lektionen: Viele Bäuer:innen stehen enorm unter Druck, teilweise sind ihre Arbeitsbedingungen keinen Deut besser als die der Landarbeiter:innen, die sie beschäftigen. Trotzdem scheuen sie sich oft, sich ihrer Lage entsprechend zu verhalten – beispielsweise auf Direktvermarktung umzustellen, den Betrieb zu kollektivieren, statt ihn an die Bank zu verpfänden usw. Wir mussten auch feststellen, dass das Wohl der Arbeiter:innen nicht gerade ein Hauptthema der Bäuer:innenproteste war – um nicht zu sagen, wir Landarbeiter:innen kamen da quasi nicht vor. Ich würde sagen: ja, wir haben gerade in der Landwirtschaft vielleicht öfter als anderswo gemeinsame politische Schnittmengen mit unseren Chef:innen, beispielsweisebeispielsweise bei internationalen Freihandelsabkommen wie Mercosur, bei Gesetzesänderungen wie der «neuen» Gentechick oder bei Kämpfen gegen Flächenvernichtung. Und trotzdem trennen uns auch immer noch reale Kapitalverhältnisse, Standesdünkel und der Unwille der meisten Bäuer:innen, die Proletarisierung, wie du es treffend nennst, zu akzeptieren, Gestaltungsmacht zu demokratisieren und «gleiche:r unter gleichen» zu werden.

Die «Union des Producteurs Suisse (UPS), die später in Uniterre umgewandelt wurde, schreibt in ihrer Prinzipienerklärung von 1953: «Sie vereint von Grund auf alle Landarbeiter aus den verschiedenen Produktionsbereichen, seien es Landwirte, Bauernkinder, Tagelöhner oder Angestellte.» Die Geburtsstunde des bäuerlichen Syndikalismus in der Schweiz in Opposition zum konservativen Schweizerischen Bauernverband. Wie steht ihr zum Deutschen Bauernverband (DBV)?

Wir arbeiten uns wenig am DBV ab – klar ist aber, dass der Verband nur der großen Agrarindustrie und ihren Profiten dient und kein progressiver Akteur ist und zwar in allen Punkten: Der DBV ist einer der Hauptakteure, wenn es um die Monopolisierung der Branche, Erhöhung des Ausbeutungsgrades und den Kampf gegen jedwede Umweltstandards geht. Die Branche wäre ohne den DBV wesentlich besser dran als mit ihm. In diesem Jahr haben wir uns auch offen gegen den DBV gewendet, weil dieser forderte, dass der Mindestlohn für ausländische Arbeitskräfte ausgesetzt oder gemindert werden sollte. Das ist natürlich nicht nur ein rassistischer Angriff auf diese Kolleg:innen selbst, sondern auf alle Beschäftigten in der Landwirtschaft, die dann unter Druck gesetzt würden, ihre Arbeitskraft ebenfalls billiger anzubieten und ggf. trotzdem erwerbslos bleiben würden. Also mensch kann schon sagen, der DBV ist unser direkter Gegenspieler. Dagegen arbeiten wir mit dem kleinbäuerlichen Verband «Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft» (AbL) immer wieder punktuell zusammen. Dort organisieren sich vor allem Klein- und Biobetriebe und es ist der linkeste unter den deutschen Bäuer:innenverbänden.

Auch in der Schweiz ist der Bauernstand zum Grossteil konservativ eingestellt. Die Bauernproteste im Jahr 2024 in Deutschland wurde gerade auch von Rechtsextremen vereinnahmt. Wie schätzt ihr die Lage ein und wie kann man gerade dem Rechtsextremismus Paroli bieten?

Zunächst einmal würde ich feststellen, dass die militanten rechten Kreise 2023/24 die Bauernproteste nicht nur vereinnahmen wollten, sondern von langer Hand planten, damit mindestens Neuwahlen zu erzwingen und die Regierung aus Grünen, Neoliberalen und Sozialdemokrat:innen aus dem Amt zu jagen. Dabei orientierten sie sich unter anderem ganz explizit an faschistischen Aufstandstaktiken aus Italien in den 20ern und aus Chile 1973, als kleinbürgerliche Fraktionen gegen Salvador Allende in den «Generalstreik» traten. Daher lag ein großer Fokus neben den Bäuer:innen auch im Versuch Logistik- und Fuhrunternehmen zu radikalisieren. Es gibt einen gewissen nationalsozialistischen Teil der Agrarbranche. Dieser organisiert sich u.a. in der Landvolk-Bewegung, in der Reichsbürger-Bewegung und in Kleinstparteien wie dem sogenannten III. Weg oder der Partei «Heimat» (vormals NPD). Letztlich sind diese Organisation aber alle recht klein und unbedeutend für tatsächliche Aktionen der Bäuer:innenschaft. Gefährlicher sind rassistische und nationalistische Haltungen im deutschen Bauernverband und der aktionistischeren Vereinigung «Land schafft Verbindung» (LSV). Letztere erhält gerade dadurch Zulauf, dass sie mit den Lobbyinteressen des DBV teilweise bricht und beispielsweise. mit Blockaden den Einzelhandel direkt angreift und Aktionsformen radikalisiert, wo der DBV darum bemüht ist, alles in zahnlosen Protesten zu kanalisieren. Als IGG waren wir in den letzten Protesten darum bemüht, die tatsächlichen wirtschaftlichen Zusammenhänge in den Fokus zu stellen und platte, nationalistische und umweltfeindliche Erzählungen zu kontern. Wir haben versucht, eine Stimme der Beschäftigten zu sein, wir haben die Forderungen beispielsweise vom LSV inhaltlich gekontert und dabei gleichzeitig die Aktionsformen hin zu mehr tatsächlichem, wirtschaftlichen Druck auch gegen DBV aber auch Linksliberale verteidigt. Ich denke, wenn wir weiterhin so wachsen wie bisher, würden Bäuer:innenproteste in 2-3 Jahren durch uns ein deutlich anderes Gesicht bekommen. 

Hast du ein paar praktische Tipps zur Organisierung von Landarbeiter:innen?

Nun ja. Landarbeiter:in werden, würde ich sagen. Branchen- und Fachkenntnis, eine gemeinsame Lebensrealität, Visionen für Organisierung und Umgestaltung der Branche und eine starke, herzliche Gemeinschaft sind das, was uns stark macht, denke ich. Und natürlich: Kommt gern mit uns und anderen Organisationen im Bereich in Austausch, mensch muss das Rad ja nicht neu erfinden. Ich bin fest davon überzeugt, dass gerade der Zeitpunkt für neue, starke und kämpferische Branchengewerkschaften in Europa ist. Mehr und mehr Menschen wird klar, dass unser aktuelles Wirtschaftssystem keine Zukunft hat, die nächsten Jahre werden für die gesamte Gesellschaft sozialen Abstieg bedeuten. Wir müssen uns auf die Suche begeben, nach neuen Wirtschaftsformen, einem neuen Verhältnis zu Umwelt und Technologie. Viele Menschen sind verzweifelt, aber sehen keine Ansatzpunkte etwas zu verändern. Anarchistische und gewerkschaftliche Branchenorganisationen sind ein solcher Ansatzpunkt und viele Kolleg:innen verstehen das sofort. Wenn wir europa- oder weltweit gemeinsam Branchenorganisationen aufbauen, erhöht sich der nutzen der Organisationen auf nationalem Level enorm. Wir würden uns also freuen, bald mehr Organisationen wie die IGG zu sehen und gemeinsam den Anarchosyndikalismus wieder groß zu machen – die Welt hat es mehr als nötig. 

Vielen Dank für das Interview!

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Dissens Podcast: Let’s Socialize: Wie sich Land und Boden zurückgewinnen lassen. Zum Reinhören.

Weitere Informationen zur Arbeit der IGG/FAU hier.